Was sind die Unterschiede zwischen industrieller und handwerklich traditioneller Fruchtwein-Erzeugung?
Zu den meistverkauften Fruchtweinen zählt Apfelwein. Dieser wird auf industrieller Seite von Großbetrieben aus Apfelsaftkonzentrat erzeugt. Der Cider bekannter Marken wird international vermarktet. Andere Fruchtweine folgen in geringerem Umfang. Hier nehmen vorallem die Beerenweine wie der klassische Erdbeerwein oder der Ribiselwein (Johannisbeerwein) die vorderen Plätze ein. Auf der anderen Seite stehen regionale Kleinbetriebe, die Apfelwein/Apfelmost und Fruchtweine handwerklich nach alter, traditioneller Methode erzeugen. Die Unterschiede und Philosophien der Fruchtwein-Erzeugung könnten größer nicht sein. Sind die Endprodukte charakterlich doch völlig verschieden.
Ein Video über die Herstellung von Fruchtwein finden Sie auch auf Youtube, inkl. Teil2 zur Fruchtweinherstellung.
Industrielle Fruchtweinherstellung
An der Maische wird im industriellen Maßstab aus Kostengründen nicht mehr vergoren. Man greift auf Rohsäfte und Fruchtsaftkonzentrate zurück, die im Tankwagen angeliefert werden. Es ist effizienter mit Weißweintechnologie zu arbeiten und nur Fruchtsäfte zu vergären. Sofern ein Betrieb tatsächlich ganze Früchte verarbeitet, so wird auf die Maischeenzymierung und eine Thermovinifikation (Maischeerhitzung) zurückgegriffen um möglichst schnell den Saft zu erhalten mit dem dann weitergearbeitet wird. Der Saft wird in den Gärtank eingelagert, mit Wasser und Zucker versetzt und mit Reinzuchthefe vergoren. Dann wird unter wenigen Tagen eventuell mit Fruchtsaft rückverdünnt, gesüßt und abgefüllt.
Im Bereich der industriellen Fruchtweinerzeugung, mit kurzen Produktionszyklen und einer Ausrichtung auf den Low-End Sektor, wäre das gar nicht anders möglich. Denn bei den meist im Handel erhältlichen Produkten handelt es sich um sehr preisgünstige Getränke. Diese sind gerade für Wiederverkäufer in der Gastronomie sehr interessant.
Nachteil dieser Herstellung ist, dass die bunten, fruchtigen Getränke über wenig Körper und Komplexität verfügen, da nur Säfte vergoren werden. Meist ist das Marketing für diese Produkte auf ein jüngeres Publikum ausgerichtet. Es werden eher unerfahrene Trinker angesprochen und damit ergibt sich am ehesten noch eine Konkurrenz zu Bier. Es handelt sich meist um alkoholschwache (1,2%Vol. bis zu 6%Vol., max. 10%Vol.) und süße Getränke, die wie Fruchtsaft mit ein wenig Alkohol schmecken aber nicht mit Wein in Konkurrenz stehen, quasi die historischen Vorgänger von Alkopops.
Der meistverkaufte Fruchtwein ist übrigens der Apfelwein. Sowohl in der historischen, traditionellen Variante als auch modern interpretiert. Momentan besonders In als kohlensäurehältiger Cider, der sich statt Bier gekühlt gut konsumieren lässt.
Handwerkliche Fruchtweine aus Maischegärung
Handwerklich hergestellte Fruchtweine – wie sie schon vor über hundert Jahren hergestellt wurden – werden ähnlich hochwertigem Rotwein verarbeitet und an der Maische vergoren. Diese Art der Fruchtweine, die vorwiegend aus Stein- oder Beerenobst bestehen, werden industriell normalerweise nicht erzeugt. Sie haben Produktionszeiten von mehreren Monaten bis zu einem halben Jahr. Hier spricht man in erster Linie von Fruchtdessertweinen und weniger von Fruchtweinen, weil diese meist über mehr als 13%Vol. enthalten und der extraktreiche Körper auch einen höheren Alkoholgehalt verlangt.
Die Tätigkeiten umfassen die Maischeerstellung sowie das tägliche händische Unterstoßen des Tresterhutes. Beides wäre im industriellen Maßstab nur mit Rotweingärtanks umsetzbar und in Summe zu teuer für ein preiswertes Endprodukt. Je nach Obstart und Weintyp fällt die Maischegärung unterschiedlich lange aus und kann von wenigen Tagen bis zu vier Wochen dauern.
Manche Obstarten dürfen nur wenige Tage an der Maische gären um Farbe und Aroma zu extrahieren und die Saftausbeute für den später folgenden Pressvorgang zu erhöhen. Andere Früchte benötigen eine längere Standzeit an der Maische. Wie lange welche Obstart an der Maische gären soll und vor allem darf ist Erfahrungssache.
Lässt man gewisse Früchte zu lange an der Maische gären oder vergärt mit Kernen oder Steinen riskiert man einen Fehlgeschmack. Daher darf Steinobst nur entkernt zur Produktion kommen. Man kann weder Äpfel mit Birnen vergleichen noch Weichseln mit Brombeeren oder Heidelbeeren. Jede Frucht hat ihre ganz speziellen Eigenheiten, die man bei der Herstellung von Fruchtwein berücksichtigen muss. Die Inhaltsstoffe und Besonderheiten gewisser Früchte zu kennen ist das Um und Auf. Stichwort Holunder und Sambunigrin.
Ähnlich wie bei der Herstellung von Rotwein lassen sich auch die Technologien und unterschiedlichen Herstellungsmethoden auf Fruchtweine übertragen. So lassen sich etwa Fruchtsäfte und Fruchtsaftkonzentrate als Rohstoffe mit thermovinifiziertem Traubensaft vergleichen oder unzerkleinertes Beerenobst im Ganzen vergoren als Variante der Maceration Semi-Carbonique.
Der Pressvorgang ist oftmals nicht als eigentlicher Pressvorgang ausgelegt sondern mehr ein grober Trennschritt von Fest und Flüssig zum Abseihen und Auffangen des Free-Runs. Der Free-Run-Juice ist der Saft, der beim Pressen von alleine von der Presse abläuft, ohne dass Druck ausgeübt werden muss. Durch das Füllen der Presse und indem der Maischekuchen immer schwerer wird, läuft der Saft durch das Eigengewicht des Tresterkuchens von alleine ab. Dieser Saft bzw. Obstwein ist am reintönigsten und verfügt über das beste Aroma.
Der spätere Ausbau kann unter weiterer Zugabe von Zucker wie auch Fruchtsaft oder Fruchtsaftkonzentrat erfolgen. Möglich ist laut Weingesetz auch die Zugabe von Alkohol oder Obstbrand um den Fruchtdessertwein ähnlich Portwein (oder vergleichbare Südweine) zu verstärken und mit einem Alkoholgehalt bis zu 22%Vol. auszustatten. Die Abgrenzung zu Likör und Spirituosen ist fließend, ebenso die Besteuerung solcher Getränke.
Die traditionelle Herstellungsart kommt allerdings ohne Zugabe von Alkohol aus. Durch die erschwerten Gärbedingungen am Ende der Gärung und durch Zugabe von Restzucker ist üblicherweise mit einem Alkoholgehalt zwischen 13,5%Vol. und 14,5%Vol. zu rechnen. Unter optimalen Bedingungen und mit speziellen Weinhefen sind allerdings auch Alkoholgehalte zwischen 16-17%Vol. möglich, ebenfalls mit dem Nachteil einer zusätzlichen Besteuerung. Weitere Möglichkeiten Fruchtdessertweine zu bearbeiten ist die Zugabe von Kräutern und Gewürzen zur Geschmacksabrundung und um neue Typen zu kreieren wie auch die Herstellung von Obstwermut.
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6 Antworten auf „Fruchtweinherstellung: industriell – handwerklich“
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